Nathan-Brian Frey. „Schneide mir meine Haare ab, sonst gehe ich nicht hier weg“ forderte ich meinen Friseur auf. Ich besuchte die dritte Klasse der Grundschule, als ich zum ersten Mal das Bedürfnis verspürte, mein Äußeres meiner Seele anzupassen. Ich zog Kleider von Jungs an und spielte auch am liebsten mit ihnen. Mir bisher unbekannten Kindern stellte ich mich als Dennis anstelle mit Denise vor und obwohl ich mich zu Mädchen hingezogen fühlte, kam ich bei ihnen nicht an. Zwischen der dritten und siebten Klasse wurde ich im zunehmenden Maße von meinen Schulkameraden gemobbt. Während ich in der Grundschule belächelt wurde und Witze über mich gemacht wurden, gipfelte es auf der Hauptschule mit Abwerfen in der Pause. Erniedrigend empfand ich beispielsweise, wenn man Tampons auf mich warf. Um meiner Seele eine Pause zu verschaffen beschloss ich ab der 8. Klasse, mich etwas mehr anzupassen, die weibliche Rolle etwas mehr zu spielen und lies meine Haare länger wachsen. Ich wurde den Erwartungen trotzdem nicht gerecht, denn ich war nicht weiblich genug. Unzufrieden mit diesem Zustand suchte ich die Unterstützung meines Lehrers. Er war der Auffassung, ich sei selbst schuld an dem Zustand. Warum sollte ich mich auch so kleiden und geben wie ein Junge? Wurde jemand beim Mobben erwischt, entschuldigte er sich vor den Lehrern, im Anschluss ging es aber unvermindert, oftmals heftiger weiter. Unter diesen Bedingungen wurden meine Schulnoten schlechter. Ich wechselte in der 9. Klasse die Schule. Andere leider auch. Ich befand mich in der neuen Schule mit den schlimmsten Mobbern mehrerer Klassen der alten Schule im neuen Klassenverbund. Reflexartig passte ich meine soziale Rolle wieder an. Erfahrungsgemäß sanken die Attacken mit der steigenden künstlichen Wahrnehmung meiner weiblichen Rolle. Mit 18 Jahren wechselte ich erneut in meine alte Schule. Ich hatte eine Freundin. Seinerzeit glaubte jeder, wir wären lesbisch. Im engsten Kreis meiner Freundin befand sich ein Transgender, der unmittelbar vor seiner Geschlechtsanpassung stand und bereits einige Schritte weiter war als ich. Unsere Treffen nutzte ich, um mehr über den Prozess zu erfahren und ich bemerkte, dass es für mich keine Umkehr gab. 2017 legte ich mir einen Jungennamen zu. Ich wollte von allen, also auch von meiner Familie mit „Dylan“ angesprochen werden. Erstaunlicherweise fiel es meiner Mutter und meinen Geschwistern leicht. Es hat sich richtig gut angefühlt. Das Resümee über meine Schul-, Kinder- und Jugendzeit lautet, dass man akzeptiert wird, solange man sich an scheinbar normale soziale Normen orientiert und sich danach verhält. Für alle anderen Interpretationen seiner eigenen Person ist kaum Platz in der Gesellschaft und man versucht die „unnormale Person“ zu ändern. Gleichaltrige sind in der Regel grausam, Lehrer wissen keinen Rat. Das im Jahr 2019. Ich nahm den Kampf auf, begab mich wegen der mittlerweile entstandenen Depressionen und Angstzustände in psychologische Behandlung. Nach drei Monaten Therapie erzählte ich von meinem Wunsch und meiner wahren Identität. Meine Therapeutin bereitete mich sehr gut auf die bevorstehenden Schritte vor. Ab diesem Zeitpunkt stand für mich fest, dass ich mich nicht mehr anderen Personen oder Instanzen anpassen werde. Die Therapeutin stellte die für eine Hormontherapie notwendige Indikation. Ich begann am 31.10.2018 Hormone zu nehmen und war bereit für eine neue Pubertät, denn diese erlebt man bei einer solchen Therapie tatsächlich. D.h. man hat mit Akne, Hitzewallung, Stimmungsschwankungen, Bartwuchs, Aggressivität, Muskelbildung und Fettumverteilung zu kämpfen. Dies ist der Preis dafür, sich erstmals wie neu geboren zu fühlen. Ich belohnte mich dafür mit einem Tattoo auf der rechten Hand. Es stellt eine verwelkte Rose dar, die jetzt beginnt zu blühen. Drei weitere Zeichnungen kamen hinzu. Zwei Flügel sollen Entfaltung und Freiheit symbolisieren. Ein Notenschlüssel markiert meine Verbundenheit zur Musik und das englische Wort „Patience“ soll mich an Geduld erinnern, wenn Dinge nicht so laufen, wie sie sollen. Ich bin meinen Weg gegangen. Trotz meiner fehlenden Ausbildung habe ich mir mein Leben erkämpft. Ich führte eine Vornamens- und Personenstandsänderung durch und heiße seit Juli 2019 Nathan-Brian Frey. Ein Schritt auf dem Weg zur eigenen Identität besteht in der Erstellung eines Trans- Tagebuches. 2017 gab ich es meiner Mutter zum Lesen. Sie weinte intensiv, weil sie nun im Bilde war, wie lange ich litt und was ich in den vergangenen Jahren ertragen musste. Sie unterstützt mich sehr intensiv bei all meinen Maßnahmen. Sie gibt mir Mut, wenn ich ständig irgendwelchen Gutachtern, Richtern und Psychologen meine Geschichte erzählen muss. Aktuell plane ich meine Zukunft für mich allein. Wem das nicht gefällt, den streiche ich gerne aus meinem Adressbuch. Langsam habe ich mir ein soziales Umfeld aufgebaut und lebe in einer Beziehung. Was mir fehlt ist der Kontakt zu meinem Vater. Mein Traum ist es, einmal eine eigene Familie zu haben, für die ich Verantwortung übernehmen kann. Sobald meine operativen Eingriffe beendet sind, ich keine Fehlzeiten mehr zu befürchten habe, möchte ich zur Fachkraft für Schutz und Sicherheit ausgebildet werden. Ich bin dann zwar Ende Zwanzig, jedoch benötigen manche Menschen einfach etwas mehr Zeit, neu geboren zu werden. Anpassung bedeutet für mich am langen Ende nicht, mich selbst und meine Träume, Pläne und Ziele denen anzupassen, die sich für normal halten. Es bedeutet für mich die Angleichung meines Körpers an meine Seele.
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<!-- wp:paragraph --> <p><strong>Gerd Baunach</strong></p> <!-- /wp:paragraph
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<!-- wp:paragraph --> <p><br>Fabian Triesch</p> <!-- /wp:paragraph --> <!--
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<!-- wp:paragraph --> <p>John Tumusiime </p> <!-- /wp:paragraph --> <!--
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