Markus Babinski
Ich stamme aus Siebenbürgen, der Stadt Medias. Das ist eine kleine Region in Rumänien, in der ca. 60.000 Deutschstämmige lebten, was ca. 0,7% der Bevölkerung Rumäniens ausmachte. Dort lebten wir unter Gleichen. Ich blicke auf eine zufriedene Kindheit zurück. Meine Mutter arbeitete in einer Näherei, mein Vater lieferte mit einem LKW große Weinmengen in einem riesigen Behälter aus. Es fehlte uns an nichts, da Wein ein beliebtes Tauschobjekt darstellte und man sich somit einige Vorzüge verschaffen konnte. Ich liebte mein Dorf, die Freunde, mit denen ich Zalâ spielte. Jeder Teilnehmer besaß eine Münze, eine Lei. Ich habe keine Ahnung welcher Teil eines Pfennigs dies war, zum Spielen reichte es allemal. Jeder warf eine Münze in ein kleines ausgehobenes Loch in ein paar Meter Entfernung. Wer traf, durfte alle geworfenen Münzen für sich in Anspruch nehmen. Von diesen „Reichtümern“ leisteten wir uns Streichhölzer. Wir schabten den Schwefelanteil ab und sammelten ihn in kleinen Einspritzzylindern, Produkte unserer kleinen Maschinenfabrik aus dem Ort. Mit einer ausgeklügelten Methode brachten wir die entzündliche Substanz zum Knallen. Oft lauerten wir Betrunkenen auf und stimulierten sie, mit uns Zalâ zu spielen. Die durch den Rausch bedingte Treffunsicherheit steigerte unseren Gewinn und wir ermöglichten uns so im Alter von sechs bis sieben Jahren selbstständig Zugang zu Alkohol und Zigaretten. Der Grundstein für meine spätere Drogenkarriere war gelegt. Michail Gorbatschow leitete 1985 umfangreiche Reformen in Rumänien ein. Nicolae Ceaușescu reagierte mit Ablehnung und im November 1989 reiste er nach Moskau. Hier wurde ihm der Rücktritt nahegelegt. Später wurde er öffentlich hingerichtet. Die Revolution, die den Kommunismus abschaffte, führte zu der Entscheidung, die Enklave, in der wir im guten Mittelstand lebten, zu verlassen. Kurze Zeit später standen wir, also meine Eltern, mein zwei Jahre älterer Bruder und ich, jeder mit einem Koffer bestückt am Bahnhof in Nürnberg und warteten darauf, in ein zehnstöckiges Aussiedlerheim, das durchaus vergleichbar mit einer heutigen Flüchtlingsunterkunft war, weitergleitet zu werden. Dort verbrachten wir einen Monat. Ein Kredit eines Siebenbürgers in Höhe von 10.000 DM ermöglichte uns, nach Heilbronn in eine kleine Behausung zu ziehen. Wir haben alles hinter uns gelassen. Das Dorf, Freunde, die Natur, das alles fehlte mir. Ich spürte zum ersten Mal, in der alten Heimat waren wir keine richtigen Rumänen und in Deutschland keine richtigen Deutschen. Obwohl wir in Siebenbürgen deutsch sprachen, war ich auf der Hauptschule überfordert. Der Niveauunterschied war einfach zu groß. Ich fiel schon allein durch meine einfache Kleidung auf. Markenartikel konnten wir uns nicht leisten, sie war aber auf Schulhöfen durchaus angesagt. Meine Klassenkameraden ließen mich spüren, dass ich „zweite Wahl“ war und ich entwickelte mein eigenes Resilienzkonzept, mit dem ich beeindrucken wollte. Ich provozierte alle, suchte Ärger mit Lehrern, stand im Unterricht einfach auf und bewegte mich im Klassenzimmer. Als Folge dieses Verhaltens wurde anderen Kindern der Umgang mit mir verboten. Diese agile Methode, meine Unsicherheit zu verdecken sollte ich bis zum März 2020 beibehalten. In den folgenden Jahren zogen wir unzählige male um. Nach einiger Zeit gesellte sich meine Großmutter dazu, mit der ich mein kleines Zimmer teilte. Meine Eltern wechselten ihre Arbeitsstellen. Während meine Mutter zunächst als Arzthelferin, später im Büro eines Reisebüros arbeitete, blieb mein Vater seinem Beruf treu und fuhr Transporte für eine Firma mit Baustellenfahrzeugen. Mit 17 Jahren sind wir in einer Eigentumswohnung in Böckingen angekommen. Während meine Eltern mehr Stabilität verspürten, begann mein Leben richtig an zu wackeln. Ich fand einfach durch die ständigen Umzüge keine Basis, meine schulische Ausbildung auf gesunde Beine zu stellen. Nachdem ich zweimal das Schuljahr wiederholen musste, riet mir mein Lehrer zu einer Ausbildung zum Metzger. Ich verlies die Hauptschule nach der achten Klasse und begann meine berufliche Karriere in einer Fleischmanufaktur. Es war harte Arbeit, denn der Betrieb besaß zwei Maschinen, eine Wurstspritze und einen Fleischwolf. Der Rest war Handarbeit. Da ich nun über eigenes Geld verfügte, leistete ich mir auch die zugänglichen Drogen und sowie Gras, als auch der dazugehörige Rausch waren meine ständigen Begleiter. Sie sollten nicht allein bleiben. Koks, Marihuana, Extasy, LSD und Speed wurden vollkommen unproblematisch und vollständig in mein Betäubungskonzept übernommen. An den Wochenenden reiste ich nach Mannheim und Stuttgart, feierte dort die gesamten Tage und landete nach 4 Stunden Schlaf montags wieder am Arbeitsplatz. Natürlich unter Drogen.Den Dienst an der Waffe verweigerte ich und war während meines Zivildienstes bei Tillmann eingesetzt. Er war ein körperlich stark behinderter Jugendlicher bei klarem und wachem Verstand. Wir wurden Freunde. Ich war bereit, alles für ihn zu machen, wozu er nicht in der Lage war. Er besaß „Coffee-Shop-Ortskenntnisse“, was sofort alle Kanäle bei mir offen schaltete. Wenn er Gras rauchte, hat er keine Spasmen mehr. Wenn ich dies tat, entkrampfte sich in ähnlicher Weise mein Verstand. Ich spürte zum ersten Mal in der neuen Heimat, dass sich jemand auf mich freut und der Zusammenhang zwischen Leistung und Wertschätzung schimmerte erstmals, wenn auch nicht nachhaltig durch. Unsere Beziehung hätte die Blaupause von „Ziemlich beste Freunde“ sein können. Leider habe ich heute keinen Kontakt mehr zu ihm. Meine Berufe und Standorte wechselte ich nun auch häufiger. Besonders hart empfand ich die Tätigkeit in einem Zerlegebetrieb. Es handelt sich um eine knallharte Branche ohne sozialromantisches Umfeld. Angenehmer empfand ich die Arbeit bei Audi in der Qualitätskontrolle und später bei einem Zulieferer. Mittlerweile habe ich eine junge Frau aus Tschechien geheiratet. Wir verstanden uns gut, solange sich alles auf Basis von Drogen und Sex abspielte. Ich heiratete sie, weil sie dadurch Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erhielt. Meinen Tiefpunkt erlebte ich, als ich wegen des Verdachts auf Drogenhandel polizeilich festgenommen wurde. Da alle Zellen voll belegt waren, wurde ich in einer alten Kellerzelle verbracht. Es war dunkel und kalt. Genauso wie mein ganzes Leben, wenn ich nicht gerade stoned war. Ein pfiffiger Anwalt holte mich nach einigen Monaten raus und ich stand in Jogginghose auf der Hauptstraße vor der Vollzugsbehörde. Sechs Jahre Haft gingen an mir vorbei und erneut musste ich Anlauf nehmen. Dieses Mal als Koch. Die Ausbildung zum Metzger, meine Erfahrung und auch ein wenig Talent waren die Grundlagen für diese Entscheidung. Mittlerweile geschieden, galt ich in der Drogenszene als Verräter und ich war aus deren Dunstkreis ausgestoßen. In den nächsten Jahren habe ich immer wieder Anlauf nehmen müssen. Meine Startvorstellungen waren immer beeindruckend, jedoch fällt mir im Nachhinein auf, dass ich mich nach erster Euphorie immer gemobbt und nicht akzeptiert fühlte. Dieses Muster muss ich mir heute selbst zuschreiben. Ich verdiente mein Geld also während der dunklen Tageszeit. Überhaupt war ich in der Dunkelheit angekommen. Der Drogenkonsum war irgendwann als Arbeitsloser nicht mehr zu finanzieren und ich zog zu meinen Eltern nach Böckingen zurück. Durch einen Kontakt meines Vaters kam ich an einen Job als Hausmeister in der Gerberstrasse Heilbronn. Gegenüber befand sich eine nette Flammeri. Der charismatische Besitzer mit dem Namen Simon war mir aus Schulzeiten bekannt und irgendwann lud er mich ein, zum Frühstück ins „Pier 58“ zu kommen. Wir unterhielten uns und mir schien, dass er zu den weinigen Menschen gehört, die mich so nahmen wie ich bin, mir zuhörte. Da er an den Wochenenden Unterstützung für die Küche suchte, bot er mir einen Nebenjob an. Der Kontakt vertiefte sich. Ich glaube, er kann mich bis zum heutigen Tag lesen. Das gute daran ist, es macht mir nichts aus. Eines Tages befand ich mich im Auto und in einer depressiven Phase. Es ging mir nicht gut. Es war dunkel und kalt. Kein Licht, keine Perspektive in Sicht. Ohne zu wissen warum, rief ich Simon an. Ich erzählte ihm von meinem aktuellen Zustand. Während ich es einfach raus ließ konnte ich mir die Antwort dafür geben, weshalb an meiner Zellentür im Knast ein roter Punkt klebte. Es steht für Selbstmordgefährdung. Wir trafen uns wenig später zu Beginn der Coronapandemie im März 2020 in seinem Garten und unterhielten uns. Sein Befund wurde klar formuliert und war absolut richtig. Er sagte mir, ich sei voller Sünde und lebe in der Finsternis. Eigentlich bleibe mir nur noch ein Ausweg, mir selbst ein Ende zu setzen. Er schlug mir vor, die Sünden einfach abzugeben, sie einfach in einen kleinen Koffer zu packen, wie ich ihn bei der Übersiedlung nach Deutschland besaß, und ihn irgendwo abzugeben. Dieser Vorschlag und der für mich vollkommen neue Idee der Vergebung, erhellten mich sofort. Ich war sogar bereit für ein gemeinsames Gebet. Kein Gebet, wie ich es immer in Kirchen gehört habe. Es war ein einfacher Dialog mit Gott. Simon legte seine Hand auf meine Schulter und begann zu sprechen. Mit absoluter Überzeugung wollte ich tatsächlich meine Sünden abgeben. Direkt im Anschluss, als Simon seine Hand von mir nahm, merkte ich in mir ein vollkommen neues Gefühl der Erleichterung. Ich sah bunte Farben, schöner noch als bei dem schönsten Rausch. Meine Halsschlagader pulsierte und ich war wahnsinnig erschöpft. Drei Tag später rief ich Simon an und berichtete ihm, dass ich seit dem Ereignis keine Drogen mehr zu mir genommen habe und ich mich richtig „clean“ fühle. Ich hatte auch das Gefühl, nie wieder so etwas zu mir nehmen zu wollen. Ich war bereit für den nächsten Schritt und verabredete mich zu einem Termin am Breitenauer See. Es war der Tag meiner Taufe. Wir gingen ins Wasser. Es stand bis zu meinen Hüften und trotz anfänglicher Kälte spürte ich kurze Zeit später ein angenehmes Gefühl. An meinen Seiten waren Simon und Matthias. Sie hielten meine Hände. Simon sprach, dass ich ein neues Herz erhalten soll. Er sprach zu mir: „Du stirbst mit Gott und wirst mit ihm neu geboren“. Ich tauchte unter und wieder auf. Ich fing an irgendetwas zu stammeln und hatte keinen Einfluss darauf was und wie ich etwas stammelte. Vermutlich zog das Böse aus mir aus. Meine Geburtshelfer Simon und Matthias ließen mich los und ich fing an, mein Gesicht zu waschen. Immer wieder tauchte ich meine Hände ins Wasser und wusch mein Gesicht. Ich fing vor Glück an zu lachen, denn ich war leicht, rein, hell, befreit. Ich war keine zweite Wahl sondern eins mit allen Menschen und mit Gott. Mein altes Leben war weg und weiß, es wird alles gut, wenn ich meine Sünden, die ich zweifelsfrei auch zukünftig begehe, einfach immer wieder in den Koffer packe und ihn Gott vor die Tür stelle. Um allen Befürchtungen entgegen zu wirken. Im „Pier 58“ tagt keine Sekte. Dort sammeln sich Menschen, eine Gemeinschaft, die Jesus in den Mittelpunkt stellt. In meinem Herz wohnte ich im Dunkeln. Dort befindet sich eine kleine Tür, die sich nur von innen einen Türgriff besitzt. Es hat geklopft und ich habe aufgemacht. Ich bin raus aus dem Dunkeln. Ich weiß, es ist nie zu spät ins Helle zu gelangen. Jesus ist real und für ihn bin ich erste Wahl.
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