Rita Schneider
Mein Puls rast, der Blutdruck ist so hoch, dass ich das Pochen meiner Halsschlagader deutlich spüre. Ich entwickle Stück für Stück Todesangst. Körper gegen Verstand.Ich bin unkonzentriert, muss weinen und habe das Gefühl, mich schnell in Sicherheit bringen zu müssen. Niemand ist bei mir. Unter diesen Bedingungen werte ich es als Erfolg, mir in den nächsten Stunden und Tagen einen Kaffee oder eine Suppe zu kochen. Ich bräuchte dringend Unterstützung, aber ich habe gründlich daran gearbeitet, dass mich niemand in einer solchen Phase entdeckt. Was würde es auch bringen, diese Rita kennt keiner. Ich ziehe mich zurück, gehe nicht ans Telefon und warte auf spontane Besserung des Zustandes. Wie sollte jemand mit mir umgehen? So, oder so ähnlich verlaufen meine Panikattacken.
Ich war immer berufstätig. Nach meiner Berufsausbildung zur Kosmetikerin zog ich mit meinem damaligen Mann nach Kiel. Die Ehe verlief unglücklich, schenkte mir jedoch zwei wunderbare Töchter, die gemeinsam mit meinem Enkel einen wichtigen Ankerpunkt für mich darstellen. Es folgte ein bewegtes Berufsleben, das mich über die Beschäftigung im sozialen Bereich zur selbstständigen Arbeit führte. Ich stand also mitten im blühenden Leben, bis nach dem Ende einer Beziehung, die beschriebenen Symptome erstmals schlagartig auftauchten.
Es folgten drei lange Klinikaufenthalte. In dieser Zeit kümmerten sich meine Eltern um meine Kinder, wofür ich ihnen sehr dankbar bin. Ich fand heraus, dass Verlust der Hauptauslöser für diesen schlimmen Zustand der Depression ist. Während der Therapie arbeitete ich mein Leben unter einer Glasglocke auf und fand heraus, dass der Tod einer nahen, von mir sehr geliebten Person das initiale Ereignis war. Mit dem Verlust dieser Person habe ich quasi mein Heim verloren, weshalb ich bis zum heutigen Tag auf der Suche nach einem Zuhause bin. Mit Verlust ist jedoch nicht zwingend das Ende eine Beziehung gemeint, es kann auch Verlust an Vertrauen, Freundschaft, Mut und Liebe bedeuten.
Der Krankheitsverlauf erfolgt schubartig. Die Tagesform ist häufig entscheidend und wenn ich merke, dass es beginnt, ziehe ich mich zurück. Ich Verstecke mich hinter einer großen Fassade, die aus den Materialien Distanz, Arroganz, Isolation, Selbstschutz und Einsamkeit gebaut wurde. Ich befinde mich hinter dieser Mauer, mit der ich bisher noch die meisten fernhalten konnte. Das Paradoxe jedoch ist, dass ich mir Kontakte wünsche. Meine Fassade besitzt nur eine kleine unscheinbare Tür, auf deren Schloss nur ein Schlüssel passt, Empathie. Damit meine ich die Fähigkeit, Gefühle einer anderen Person zu erkennen und richtig zu bewerten.
Heute bin ich Frührentnerin und muss meinen Rentenantrag alle zwei Jahre erneut stellen. Der Prozess der Antragstellung ist anstrengend für mich und ich merke, dass weitere Angstzustände provoziert werden. Ich habe gelernt, mit der Angst umzugehen. Beispielsweise schreibe ich seit Jahren offen in meinem Blog über meine Krankheit, die aus meiner Sicht unheilbar ist. Dieser Kanal hilft mir, das Thema Depression zu entstigmatisieren. Und da wäre noch Frodo, ein kleiner Parson Jack Russel, der mir hilft, täglich meine Festung zu verlassen und in die Natur zu gehen. Ich bin 58 Jahre alt und habe noch viel vor. Archäologie studieren, vielleicht die Welt retten?