Joe Weinand
Vier Jahre lang Hoffnung verbreiten bei 5 Prozent Überlebenschance führten bei mir zu einer Erschöpfung, die zwei Wochen lang stationär behandelt werden musste. Sylvia bemerkte schon eine ganze Zeitlang Schmerzen im Unterleib, bevor sie endlich zum Arzt ging. Ich saß gerade im LKW auf dem Weg nach Frankreich, als sie mich anrief und mir unter Tränen berichtete, sie hätte Krebs und müsse sofort in die Uni-Klinik nach Bonn. Diese Botschaft gab meinem Leben eine neue Richtung.
Mit sechs Jahren genoss ich eine klassische Klavierausbildung. Mein Vater war Opernsänger am Stadttheater Koblenz und wir durften ihn gelegentlich zu Generalproben begleiten. Diese Musikrichtung begeistert Kinder nicht immer, dennoch erlernte ich Klavier spielen. Von da an sollte Musik mein ständiger Begleiter werden. Ich erlernte den Beruf des Hotelfachmanns im Kurhotel Schlangenbad in Hessen. Nach dieser Ausbildung arbeitete ich als Restaurantleiter ab 1976 im Familienbetrieb, dem „Hotel Rheinufer“ in Braubach, wo meine Karriere als Alleinunterhalter begann. Ich erinnere mich sehr gut daran, dass unser Geschäft sehr gut lief. Der Grund dafür war, dass wir keinen Musiker für Anlässe bezahlen mussten. Bereits zu dieser Zeit verstand ich mich nicht mehr gut mit meiner Mutter. Sie hatte sich vorgenommen, die Frau auszusuchen, die Zukunft an meiner Seite sein sollte. Sie konnte als Mutter einfach nicht loslassen akzeptierte keine Person, die ich mit nach Hause brachte und redete lange Zeit nicht mehr mit mir. Null Kommunikation und üble Nachrede sind heute noch Dinge, die mich wütend machen.
Ich verlies also mein Elternhaus und somit Braubach. Seit diesem Zeitpunkt übte ich verschieden Jobs aus. Ich arbeitete als Dachdecker, im Logistik-Bereich, als Filialleiter eines Gastrozulieferers, im Telefonmarketing und als LKW-Fahrer, zuletzt als Techniker für Mobilfunkgeräte. Ich habe 60.000 DM in die Selbstständigkeit bei Eismann investiert. Nachdem das Geschäft aufgelöst wurde, benötigte ich sieben Jahre, um diesen Betrag zu tilgen. Dank der Stelle als Dachdecker und meiner Musik ist mir dies in so kurzer Zeit gelungen.
Nach meiner gescheiterten Ehe, lernte ich Sylvia kennen. Mit ihr hatte ich eine Freundin, die mir Halt gab und mich vervollständigte. Alles schien in die richtige Richtung zu gehen und ich dachte sogar an Heirat, jedoch die tödliche Krankheit kreuzte unsere Pläne. Ich versprach Sylvia auf ihr Bitten hin, für ihren Sohn Sorge zu tragen bis dieser volljährig und selbstständig ist. Als unverheirateter Partner hat man in einer anderen Familie kein Mandat, um dieses Versprechen einlösen zu können. Nach Sylvias Tod verging einige Zeit und ich lernte einige Frauen kennen. Mit einer traf ich mich, lud sie nach Hause ein. Sie ist vier Jahre geblieben.
Bei sachlicher Betrachtung sind mein aktueller Lebensstatus und meine Perspektive erschreckend. Mit 59 Jahren flüchte ich nun in meine eigentliche Berufung als Musiker. Es war immer in mir und ich habe versäumt, mit meinen Fähigkeiten eine Existenz zu sichern. Ich habe Musik stets in die zweite Reihe gesetzt. Sie war immer gut genug, mein geringes Gehalt aufzubessern. Ich gab ihr nie die Chance, mich zu ernähren, mir Halt und Sicherheit zu geben. Jetzt lasse ich es gerne zu. Ich nutze den Rest des Jahres, meine Planungen und Vorbereitungen abzuschließen, um 2020 einen Neustart zu beginnen. Alle Argumente sprechen gegen mich. Sobald ich Erträge habe, werden sie mir von meinem Harz IV- Satz abgezogen. Eigentlich müsste ich diese Mittel in neue Instrumente, Technik, Werbung und Kleidung investieren. Der Misserfolg scheint staatlich programmiert zu sein. Oft frage ich mich, wie viele Menschen aus der Harz-IV- Falle hinauskommen würden, gäbe es individuelle Betrachtungen und damit verbundene Förderungen. Ich habe keine Angst, aber großen Respekt vor der Zukunft. Wenn über Nacht ein Wunder passieren würde und die Welt würde funktionieren wie ich es möchte, hätte ich genug Geld für Essen und Trinken, wenn’s mal gut läuft mal ein paar Euro für ein Bierchen in einer gemütlichen Gaststätte, zum Essen gehen oder für eine Investition in meine Musik für Hardware. Ich möchte heizen können und mein Auto behalten, weil es für mich Mobilität darstellt. Mobilität ist für einen Neustart existenziell. Zirka 1.500 Euro netto monatlich würde genügen, um dieses Wunder erleben zu dürfen. Vielleicht genügt sogar etwas weniger.
Nun frage ich mich, ob ich schon alt genug bin, mit dem Leben abzuschließen, bzw. ob ich noch jung genug bin, um neu zu starten. Ich habe eigentlich keine Chance, aber ich nutze sie für meinen Neustart.
Bild und Text: Johannes Palm
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