Natalie Karij
Am 17. März 2018 schaute ich aus dem Fenster. Es schneite. Wie soll man bei diesen Verhältnissen die Uferstrecke am Rhein vom Müll befreien? Vom Wetter enttäuscht ging ich zu dem Treffpunkt, an dem ich mich mit freiwilligen Helfern verabredet hatte. Ich war mir sicher, dass niemand erscheinen wird und die ganze Planung umsonst war. Am Ziel angekommen traf ich auf 65 hochmotivierte Helfer. Ein kleiner Junge stellte sich mir in den Weg und schaute zu mir hoch. „Ich möchte gewinnen“ sprach er mich ohne Vorspiel an. „Wenn Du etwas tust, das Dir Spaß macht, gewinnst Du auch“. Das war der beeindruckendste Moment, den ich seit meinen ersten Stunden meiner Vision erleben durfte.Angefangen hat alles vor fünf Jahren. Mein damaliger Freund und späterer Ehemann erkrankte an Leukämie und ließ mehrere Chemotherapien über sich ergehen. Nach einiger Zeit stellte sich eine gute Prognose ein, jedoch wurde ich zwei weitere Male mit dieser Krankheit im engsten Familienkreis konfrontiert. Zunächst erkrankte mein Vater tödlich an einem Lungenkarzinom und kurze Zeit später starb mein Großvater an Magenkrebs. Um mich herum war nur noch Krebs, es drohte alles zu zerbrechen. Mein seelischer Zustand lies nicht zu, dass ich meine erlernten Berufe als Einzelhandelskauffrau und Bekleidungstechnische Assistentin ausführen konnte. Migräneanfälle, Antriebslosigkeit und Schwindel waren Vorboten für ein Burn-Out-Syndrom. Früh genug suchte ich den Kontakt zu meiner Hausärztin, die mich glücklicherweise zur Meditation brachte. Ein fortgeschrittenes Stadium dieser Diagnose, die seit Jahren inflationär gehandelt wird, blieb mir somit erspart. Ich schöpfte bald wieder neue Energie und hielt mich viel im Freien auf. Ich nahm die Natur seit meiner Erkrankung ganz anders wahr. Leider verspürte ich aber auch Wut in mir, seit ich zunehmend sensibler auf den Umgang des Menschen mit der Umwelt reagierte. Mit diesem neuen Filter vor meinen Augen nahm ich überall Reifen, Plastik, Haushaltsgegenstände und sonstigen Müll wahr. Ich fragte mich, wer räumt das auf und was passiert mit diesem Müll? Damit meine ich aber nicht nur die optische Verschmutzung des Rheins. Ich dachte über einen Kreislauf nach, der beispielsweise durch krebserkrankte Menschen in Gang gesetzt wird. Hat jemand eine Chemotherapie erhalten, entgiftet sich der Körper in den nächsten 4 Wochen, indem der diese zerstörenden und giftigen Stoffe ausscheidet. Diese Ausscheidungen gelangen ins Kanalisationssystem und somit in unser Trinkwasser, von wo aus wieder Krankheiten ausgelöst werden, die im schlimmsten Fall erneut Chemotherapien zur Folge haben. Denke ich über diesen oder andere Kreisläufe und Kaskadeneffekte der Verschmutzung nach, wird das Kranke in unserer Gesellschaft spürbar.Ich hatte nun glücklicherweise auf dieser Grundlage gefunden, wonach ich gar nicht gesucht habe und zeichnete die Blaupause für meine Vision. Ich wollte dazubeitragen, die Meere sauber zu bekommen. Meine Mission lautete, soviel wie mögliche Menschen und Unternehmen für dieses großartige Projekt mit dem Namen „WaterLove“ zu gewinnen, die mich auf meinem Weg begleiten, womit ich einen Impuls für einen Umdenkprozess in der Gesellschaft setzen wollte.Seither habe ich meinen Traumberuf gefunden, der mir Freude und Glücksgefühle liefert. Leider bringe ich nicht nur positive Gefühle mit meinem Beruf in Verbindung. Oft stelle ich mir vor, wie sich wohl ein satter Fisch fühlen mag, der den Bauch voller Plastik hat. Wie verrückt ist das? Da verhungert ein Lebewesen mit vollem Bauch. Dieser Fisch wird jedoch von Menschen gefangen, die sich nun selbst mit dem Plastikfisch vergiften, indem sie ihn essen. Bei dem Gedanken kann ich quasi das Kratzen des Kunststoffs an der Innenseite meiner Bauchdecke spüren.Ich habe seit „WaterLove“ sehr viel Wissen erlangt, Kenntnisse, die ich z.T. nicht weitertragen darf. Viele Stellen dürfen mir nichts sagen, weisen mir aber bewusst deutlich den Weg in eine Richtung, die sie selbst nicht einschlagen dürfen. Stellen Sie sich einen alten Autoreifen oder einen Kühlschrank vor, der am Rheinufer liegt und abtransportiert werden soll. Wird Abfall an Land gesichtet, muss die Stadtverwaltung aufräumen. Befindet er sich im Wasser, ist das Wasser- und Schiffahrtsamt verantwortlich. Da dieser Reifen genau im Niemandsland liegt, sind die Verwaltungszuständigkeiten nicht geklärt und man lässt dann einfach alles so liegen wie es ist. Verrückt, oder nicht?Ich habe viele Menschen kennengelernt. Unterstützer sind dabei, aber auch Menschen und Gruppen, die meine Vision für sich nutzen möchten. Dies zu erkennen ist mir am Anfang schwergefallen. Nun bin ich geübter und habe einen verlässlichen Kreis geschaffen, der es gut mit meiner zerbrechlichen Vision meint. Aus „Waterlove“ ist im Dezember 2018 eine „gemeinnützige Unternehmergesellschaft haftungsbeschränkt“ geworden, nachdem ich alle Initiativen 1,5 Jahre als Privatperson betrieb. Ab Juli darf ich als Gast bei einem Unterstützer meine Erreichbarkeit in sein Ladenlokal integrieren.Bisher habe ich zahlreiche Rheinreinigungsaktionen durchgeführt und viele Menschen unterstützen mich regelmäßig. Eine Schule in Bad Honnef verteilt sogar Hausaufgabengutscheine oder besser gesagt „Keine- Hausaufgaben-Gutscheine“ für Kinder, die sich an den Reinigungsaktionen beteiligen. Das Konzept von „WaterLove“sieht vor, einmal im Monat mit Hilfe aller Schulen, Unternehmen und Freiwilligen eine Reinigungsaktion durchzuführen. Im Anschluss an diesen Aktionen führe ich häufig einen Nachhaltigkeitsmarkt durch, bei dem Alternativprodukte zu Gebrauchsgegenständen aus Plastik vorgestellt werden.Der kleine Junge vom 17. März hatte eine Vision. „Wenn Du etwas tust, das Dir Spaß macht, gewinnst Du auch“. Er spielte damit auf drei Gutscheine von REWE, DM und der Kreissparkasse an, die unter allen 65 Teilnehmern verlost werden sollten. Wahrhaftig hat dieser Junge einen der Gutscheine gewonnen. Er wählte „DM“, weil er seiner Mutter etwas Gutes tun wollte. Ist das nicht ein toller Kreislauf, der in Gang gesetzt wurde? Ähnlich stelle ich mir das für meine Vision „WaterLove“ vor.
Bild und Text: Johannes Palm
www.menschundbild.de/blog
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